Ibarrola in Llanes


Ich warte wieder auf eine Abreise. Nur noch wenige Stunden bis mein Bus nach Lastres abfährt, an eine andere asturische Küste. Erneut heißt es: Es war einmal! Llanes in Asturien ist ein quirliges Städtchen am Atlantik, am Fuß einiger Gipfel der Picos de Europa - Hibeo, Llabres und Benzúa. Ein Lieblingsort. Es heißt, es ist nicht immer gut, an einen Ort zurückzukehren, den man kennt und viele Jahre in guter Erinnerung bewahrt hat. Doch der Paseo de San Pedro in Llanes bildet eine Ausnahme. Er ist die schönste Promenade, über die ich in Spanien flaniert bin. Im Freien, an der frischen Luft, das Rauschen der Brandung im Ohr. Kein Gebäude begrenzt den Blick.

Hoch über Llanes, auf der Steilküste, die den Ort vor Wind und Wellen der Biskaya schützt, führt die Promenade des Heiligen Petrus nach Westen. Sie ist der Weg, auf dem der Camino del Norte die Pilger nach Ribadasella bringt. Die Ruine eines Wachturms ragt heraus wie ein abgebrochener Zahnstumpf, der im Kiefer des Paseos steckt, ein Felsbogen, durch den eine Treppe hinab- und hindurchführt, mit einem Kreuz auf dem höchsten Punkt, das dem Meer und den ausfahrenden Fischern zugewandt ist. Holzbänke mit Blick auf das Meer und eine Allee mannshohen Nadelgesträuchs. Das ist der Paseo de San Pedro.

Llanes ist eine der mittelalterlichen Städte, an denen Spanien so reich ist. Eine Altstadt mit engen Gassen und gealterten Fassaden, mit einem Ausdruck im Gemäuer, das viel gesehen hat. Zwei Paläste, hinter hohen Mauern zurückgezogen, aus groben Steinbrocken gefügt, mit von Wind und Regen zerfressenen Zinnen. Eine Grenze zwischen alt und neu gibt es nicht. Die Jahrhunderte fügen sich in Llanes nahtlos ineinander. Und es gibt ein LandArt-Kunstwerk in Llanes, eine Installation auf der Hafenmole, die kein Geringerer entworfen hat als Agustín Ibarrola Goicoechea: die Los Cubos de la Memoria, die Würfel der Erinnerung.

Ibarrola der Baske ist in Spanien berühmt. Ein renommierter Künstler und eine Kleinstadt an der Biskaya. Das beschauliche Llanes und der inspirierte Bildhauer. Das Zusammentreffen von Stadt und Kunst, nicht zwingend, immer ungewöhnlich, immer ein spannender Kontrast. Die Los Cubos de la Memoria umgeben die gesamte Hafenmole von Llanes. Ein ausgestreckter Arm, der die Biskaya mit geballter Faust empfängt. Ein dammartiges Bauwerk, ein Wellenbrecher, der die Hafeneinfahrt vor Wellen, Strömungen oder Versandung schützt. Die großen Betonwürfel der Mole von Llanes bemalte Ibarrola zwischen 2001 und 2006 mit kräftigen Farben, Mustern und Symbolen, die verschiedene Ebenen von Erinnerung wachrufen. Die grauen und inaktiven Betonblöcke des Wellenbrechers, die Monotonie des Betons, ergänzt Ibarrola mit einem Arrangement farbiger, lebendig wirkender Würfel aus gleichem Material und in gleicher Form.

Erbarmungslos brandet die Bikaya gegen die Würfel, macht auch vor Ibarrolas Kunst keine Ausnahme. Nur ihre mannigfache Farbigkeit macht der Biskaya ihre Vorherrschaft streitig. Farbe und Symbolik verleihen den gleichförmigen Würfeln Ausdruck, indem sie ein funktionales und notwendiges Element zu einem sehenswerten Wahrzeichen der Meereslandschaft der Stadt Llanes umfunktionieren.

Ibarrolas Cubes de la Memoria sind ein Erinnerungs- und Identitätsprojekt. Sie sind nicht nur funktionale Hafenbauteile, sondern Speicher für Erinnerungen – an Menschen, Natur, Geschichte und Kunst. Seine typische Bildsprache, geometrische Formen und kräftige Farbkontraste, spiegelt Ibarrolas eigene künstlerische Entwicklung wider. Viele Motive verweisen auf die Kultur Asturiens, das Meer, die Landschaft, die Folklore, und gleichzeitig auf universale Themen wie Natur, Arbeit und Kunst. Die Würfel erinnern an die Geschichte der Region, die Kämpfe der Fischer und die Beziehung der Menschen zum Meer.

Die Bilder der Würfel haben landeinwärts einen figurativen Charakter und stellen die physische Realität der Dinge dar. Die dem offenen Meer zugewandte Front zeigt 177 Gesichter, die auf 66 Würfel gemalt sind. Ibarrolas harmonisch mit abstrakten Symbolen, Augen und Fischen bemalte Würfel verbinden sich durch die Farbenspiele, deren erratische Kanten jeden Moment durch die einwirkenden Elemente Licht und Wasser aufbrechen.

Ibarrola spielt mit der Geometrie und der Diskontinuität der Betonwürfel, nutzt die optischen Effekte, die sich aus dem wechselnden Tageslicht und der Bewegung des Wassers ergeben. Mit seinem LandArt-Projekt würdigt Ibarrola die physischen Spuren, die Menschen in der Landschaft hinterlassen, das kulturelle und landschaftliche Gedächtnis, das kulturelle Erbe von Llanes. Er bezieht sich mit seinem Werk auf das Meer, einst wirtschaftliche Grundlage und Lebensweise die Llaniscos.

Ibarrolas LandArt-Installationen inszenieren gewagte und originelle Ideen. Die Würfel der Erinnerung sind nicht sein erstes Werk, dass die Beziehung des Menschen zur Natur thematisiert. Sein bekanntestes Werk, El Bosque pintado de Oma, der bemalte Wald von Oma (1982-1985), ist ein LandArt-Projekt der künstlerischen Bewegung Kunst und Natur. Der Wald gehört zum Reserva de la Biosfera de Urdaibai, wo Ibarrola auf einer Gruppe von lebenden Bäumen Graffiti angebracht hat, die aus bestimmten Positionen betrachtet, geometrische Figuren, Menschen und Tiere, darstellen, die auf die menschliche Präsenz in der Natur aufmerksam machen, und die Erfordernisse der Koexistenz thematisieren. Mit Studierenden der Universität Salamanca, Fakultät Bildende Kunst, schuf er 1996, mit der Förderung der Eisenbahngesellschaft RENFE den Bosque de los Tótems, den Wald der Totems, eine Gruppe bemalter Eisenbahnschwellen, Totempfählen gleich, mit denen er die Geschichte des Waldes und die Verbindung zwischen der Natur und dem Erbe des Menschen ins Zentrum der Urbanität rückte. Endgültig steht ibarrolas Wald nun im Bahnhof Príncipe Pío in Madrid.

Der berüchtigte Zahn der Zeit ist an Ibarrolas Kunstwerk nicht vorübergegangen. Jahrelang war es den stürmischen Angriffen der Biskaya und den häufigen Regenfällen ausgesetzt. Jetzt weisen Ibarrolas bemalte Würfel einen fortgeschrittenen Verfall auf. Die Stadtverwaltung von Llanes hat seit 2006 nicht die geringsten Maßnahmen zu seiner Erhaltung ergriffen, scheut die hohen Kosten und hält eine Invention für wirtschaftlich nicht rentabel. Nun sind die Farben beschädigt, Müll hat sich angesammelt und beeinträchtigt Ibarrolas Werk. Welchen Sinn macht es, ein Werk wie die Würfel der Erinnerung anzufertigen, das selbst sie Möwen besuchen, wenn es die Erben nicht würdigen und bereit sind, es zu pflegen und zu erhalten?

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