Kämme im Wind
Ich bin heute zum ersten Mal gepilgert. Nicht im Wortsinn, natürlich nicht. Ich bin noch in Donostia. Nur bis ans westliche Ende der La-Concha-Bucht. Zwischen einem Strom von Touristen auf der Strandpromenade. Am richtigen Ort zur falschen Zeit. Jedenfalls für mich. Sie müssen berühmt sein, Chilladas Windkämme. Mir fällt es schwer, das pilgern zu nennen. Doch wir sind alle unterwegs an das gleiche Ziel. An einen Übergangsort, auf der Schwelle von Landschaft und Urbanem, wo der baskische Bildhauer Eduardo Chillida eine Bühne für ein Schauspiel der Natur bereitet hat. Kunst. Besser noch Land Art. Am westlichen Ende der La Concha beherrschen seine Eisenskulpturen, die Peines del viento XV die Klippen. Baskisch Haizearen Orrazia. Windkämme.
Ein passendes Bild. Gigantische Kämme greifen mit ihren eisernen Zähne aus dem Fels der Klippen und kämmen den Wind. Ein Kräftemessen der ungestümen Wellen mit dem geformten Eisen menschlicher Naturbeherrschung. Chillidas Skulpturen inszenieren Kultur in wilder Natur und erinnern en passant an alte, reparaturbedürftige Ackerbaugeräte aus der Gegend. Ursprünglich plante der Künstler an diesem Ort eine Orgel zu betreiben. Bei Unwetter wäre der Klangzauber nicht zu bewältigen gewesen, wahrscheinlich eine akustische Tortur für die Anwohner. Die Windkämme sind aber auch ohne eine Meeresorgel musikalisch, denn sie verkörpern einen meer-, wind- und kunsterzeugten Dreiklang. Für Chillida der Rhythmus des auf dem Amboss geschmiedeten Eisens. Kreuz und quer durch die Stadt flanieren. Eine lohnende Beschäftigung, auch wenn der Tourismus auch im September noch boomt. Aus 88 Meter Höhe schaut Christus vom bewaldeten Urgull mendia auf das Gewimmel zu seinen Füßen.
The ocean refuses no river, singt Mirabai Ceiba, no river. Auf den Urumea ibaia in Donostia trifft das nicht zu. Mit aller Kraft drücken ihn die Wellen der Biskaya in sein Bett zurück.
Ist die Biskaya kein Ozean, weil sie dem Urumea verweigert ihn aufzunehmen? Der Urumea jedenfalls ist unzweifelhaft ein Fluss. Aufgewühlt wie das Meer bei Flut.
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